Kultur

The World According to Games

© Stiftung Digitale Spielekultur

Abstract:

Digitale Spiele sind als Unterhaltungsmedium heutzutage im Mainstream angekommen. Zugleich wird seit einigen Jahren diskutiert, ob sie auch als Kulturgut zu betrachten sind. Dies wurde erst möglich, seitdem die Debatte um Wirkungsrisiken, die mit digitalen Spielen verbunden sind, sachlicher geworden ist. Modi des Umgangs mit Wirkungsrisiken wurden gefunden und haben sich bewährt. Dennoch bleiben bestimmte Risiken bestehen und es sind neue hinzugekommen. In der Bewertung des Mediums und seiner Inhalte hat sich der Fokus dennoch weg von einer defizit-orientierten Betrachtung hin zu einer Betonung von Chancen und Potentialen digitaler Spiele verschoben, etwa im Bildungsbereich, in der Medienpädagogik und in der ästhetischen Bildung.

Digitale Spiele im Mainstream?

Games haben sich von der „nerdigen“ Randerscheinung der 80er und 90er Jahre hin zu einem kulturellen Phänomen gewandelt. Die „Gamer“ der ersten Stunde, die mit Atari und C64 groß geworden sind, tragen heute Verantwortung, zum Beispiel in Redaktionen und Verlagen. Zugleich wachsen heute Kinder und Jugendliche mit dem Medium ganz natürlich auf. Games sind auch global gelebte Jugendkultur. Allein die Let’s-Play-Bewegung mit ihren Millionen-Klickzahlen bei YouTube zeigt, wie populär Gaming als Freizeitbeschäftigung ist. Auch etablierte Medien wie das Fernsehen greifen Gaming in eigenen Formaten wie bspw. MTV Game One auf.

Zugleich zeigen sich bereits erste Tendenzen zur Herausbildung einer Games-Tradition und es gibt Bemühungen zur Bewahrung des digitalen Erbes. So gibt es in Berlin inzwischen ein eigenes Computerspielemuseum und das Museum of Modern Art hat einen Kanon der 14 wichtigsten Werke der digitalen Spielekultur in seine Sammlung aufgenommen. Für anspruchsvolle Leser hat sich ein eigenes Games-Feuilleton herausgebildet und zunehmend finden Videospiele auch in der Berichterstattung etablierter Publikationen statt. Galerien entdecken die oftmals sehr anspruchsvollen Artworks, die die Vorstufe zur Ästhetik eines Spiels darstellen, und stellen diese aus. Und vollkommen neuartige Kunstgattungen wie bspw. die begehbare Kunst-Installation „O.R.pheus“ widmen sich einem antiken Stoff mit den Mitteln interaktiver Erlebniswelten, die sonst nur virtuell aus Computerspielen bekannt sind. Der wirkliche Mainstream-Status digitaler Spiele wird auch in seiner wirtschaftlichen Bedeutung offensichtlich. Benötigte ein Blockbuster-Film wie „Avatar“ noch 17 Tage, um 1 Mrd. Dollar Umsatz zu machen, gelang das dem Gangster-Epos „Grand Theft Auto V“, einem Konsolenspiel, im September innerhalb von nur drei Tagen. Millionen von Fans weltweit verabschiedeten sich und gingen in virtuellen Urlaub – Bestseller wie „GTA V“ sind die Straßenfeger der Gegenwart.

Digitale Spiele als Kulturgut?

Aber sind Games auch ein Kulturgut? Sicherlich steckt in ihnen eine Menge kreativer Ausdruck und ästhetischer Gehalt. Als audiovisuelle Gesamtkunstwerke bedienen sie sich bei der Formensprache aller bisherigen Kunstgattungen und fügen das Alleinstellungsmerkmal der Interaktivität hinzu. Viele Gattungen aus dem analogen Bereich finden ihr digitales Pendant: Von Cartoon und Märchen über Puppentheater und Drama bis hin zu Autoren-Film und Roman. Mögen die ästhetischen Qualitäten auch manchmal dürftig und die Inhalte banal sein: kulturelle Bedeutung haben Games durch ihre breite Rezeptionsbasis allemal. Ob es sich bei einem Spiel auch um ein Kunstwerk handelt, muss stets im Einzelfall abgewogen werden.

Mit der Anerkennung von digitalen Spielen als Kulturgut durch den Deutschen Kulturrat bereits im Jahre 2009 könnte man die Debatte leicht für beendet erklären und als entschieden betrachten. Doch wird dies der Bedeutung und Relevanz von Computer- und Konsolenspielen als einer der kulturellen Kräfte der Gegenwart in keiner Weise gerecht. Und noch etwas anderes spricht dagegen, Games definitorisch zum Kulturgut zu erheben: Noch immer mangelt es ihnen in der breiten Öffentlichkeit an Akzeptanz. So verneinten kürzlich 73% der Befragten in einer repräsentativen forsa-Umfrage die Aussage, Videospiele seien ein Kulturgut. Knapp zwei Drittel der Befragten würden keine Rezension eines digitalen Spiels lesen. Hier liegt die Interpretation nahe, dass eine breite aber meist schweigende Mehrheit nach wie vor mit Games nichts anzufangen weiß und an dieser kulturellen Entwicklung nicht partizipieren kann.

Dabei ermöglichen Games gerade durch ihren spielerischen Ansatz die Beherrschung gegenwärtiger Informationstechnik und damit Teilhabe an der modernen Informationsgesellschaft. Sie sind das trojanische Pferd der digitalen Revolution. Hierzu ein kleines Beispiel zur Illustration: Bei der kürzlich veröffentlichten OECD-Studie zum Kompetenzniveau von Erwachsenen („Erwachsenen-PISA-Studie“) kam zum Vorschein, dass jeder 8. Deutsche zwischen 16 und 58 Jahren an der Bedienung eines PCs mithilfe der Maus scheitert! Dabei wurde das weltweit am weitesten verbreitete PC-Betriebssystem Microsoft Windows bereits seit 1990 zusammen mit dem Kartenlegespiel „Solitär“ ausgeliefert, welches spielerisch und intuitiv die Verwendung der Maus trainiert.

Doch auch komplexere Lerninhalte werden heutzutage zunehmend spielerisch vermittelt, nicht bloß die Beherrschung informationstechnischer Systeme. Durch spielbasiertes Lernen und sogenannte Serious Games halten spielerische Ansätze Einzug ins Klassenzimmer und in die außerschulische Bildungsarbeit. Vor allem in der Aus- und Weiterbildung spielen Simulationen eine große Rolle. In vielen Kontexten wird mit wachsendem Erfolg versucht, motivierende Mechanismen aus dem Unterhaltungsbereich in der Bildung einzusetzen. Darin kommt ein Paradigmenwechsel zum Vorschein.

Dennoch mangelt es nach wie vor an Akzeptanz für das noch relativ junge Medium, das sich kritische Fragen gefallen lassen muss. Kann ein Ego-Shooter kulturell wertvoll sein, wie etwa das 2012 mit dem Deutschen Computerspielpreis ausgezeichnete Science-Fiction-Spektakel Crysis 2, dessen technische Vorzüge außer Frage stehen? Ist Spielen zwar bestenfalls harmlos, aber letztlich nichts als Zeitvergeudung, wie gerade in bildungsbürgerlichen Kreisen unterstellt wird? Und überfordert die permanente Konfrontation mit digitalen Medien und Computermonitoren den Menschen nicht, Heranwachsende im Besonderen, wie der vielzitierte und –kritisierte Autor Manfred Spitzer meint?

Risiken digitaler Spiele

Mit derlei Fragen bewegt man sich bereits inmitten des Feldes der Wirkungsrisiken digitaler Spiele. Die beiden zurückliegenden Jahrzehnte waren von einer teils hitzig geführten Debatte um vermeintliche oder tatsächliche Tabubrüche in digitalen Spielen gekennzeichnet. Insbesondere Gewaltdarstellungen und die befürchtete Verrohung der Rezipienten standen im Rampenlicht öffentlicher Empörung.

Mit digitalen Spielen sind angenommene Wirkungsrisiken verbunden, darunter zum Beispiel Ängstigung, Überreizung und Übererregung, vor allem aber auch sozialethische Desorientierung sowie ganz allgemein die Beeinträchtigung der Erziehung von Kindern und Jugendlichen. Um diesen Wirkungsrisiken zu begegnen, verfügt Deutschland über eines der verbindlichsten Jugendschutz-Systeme weltweit. Spiele, die an Minderjährige verkauft werden sollen, benötigen hierfür eine Altersfreigabe, welche von staatlichen Vertretern vergeben wird. Die Videospielindustrie ist an diesem Prozess beteiligt und schafft die Rahmenbedingungen, damit Spiele geprüft und letztlich freigegeben werden können. Sie hat aber kein Mitsprecherecht bei den Freigabeentscheidungen.

Diese treffen die Ständigen Vertreter der Obersten Landesjugendbehörden. Beratend zur Seite stehen ihnen dabei unabhängige Jugendschutzsachverständige, die gemeinsam von den
Bundesländern und der Spielewirtschaft vorgeschlagen und vom Beirat der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) berufen werden. Von Berufs wegen können sie die Wirkung digitaler Spiele auf Heranwachsende beurteilen. Für den Handel mit Computer- und Videospielen sind die USK-Alterskennzeichen bindend. Für Eltern stellen sie eine wertvolle Orientierung beim Spielekauf dar.

Allerdings kann der öffentliche Jugendmedienschutz nicht alle Risiken auffangen, die im Umgang mit digitalen Spielen auftreten können, endet er doch an der Haustür. In den eigenen vier Wänden sind die Eltern für den Jugendschutz verantwortlich, denn sie genießen ein verfassungsrechtlich verankertes Erziehungsprivileg. Sie wissen am besten, was gut für ihr Kind ist, können es am besten einschätzen. Exzessiver Spielekonsum, oftmals gar als „Spielesucht“ bezeichnet, kann zum Problem werden. Online-Interaktionen in digitalen Spielen können vor Markteintritt eines Spiels schwer geprüft werden. Dort kann es bspw. zu übergriffiger Kommunikation oder ungewollten Annäherungsversuchen kommen. Und gerade in der schönen neuen Welt der „Free-to-Play“-Spiele, die kostenlos im Browser oder auf dem Smartphone gespielt werden können, lauern Kosten, die ohne Wissen der Eltern entstehen können.

Um Eltern hierbei durch praktische Hilfen für die Medienerziehung in der Familie zu unterstützen, haben die USK und die Stiftung Digitale Spielekultur einen Elternratgeber herausgegeben. Er klärt auf über den generellen Umgang mit Spielen, Spielzeitbeschränkungen und technische Möglichkeiten, diese auch in Abwesenheit durchzusetzen, widmet sich aber auch dem Thema Online-Spiele und gibt allgemeine Hinweise zum Spielekauf. Dabei ist die Grundsatz-Empfehlung für Eltern, den virtuellen Erlebniswelten der eigenen Kinder aufgeschlossen und interessiert gegenüber zu stehen. Erziehungsstandpunkte können umso fundierter begründet und vertreten werden, wenn sie auf eigener, am besten gemeinsamer Spielerfahrung basieren. Regeln, die in Unkenntnis und Vorurteilen gründen, werden bei Heranwachsenden kaum Akzeptanz finden.

Übrigens gibt es inzwischen eine Vielzahl digitaler Spiele, die auch pädagogisch wertvoll sind. Verschiedene Redaktionen, Gütesiegel und Ratgeber bieten Eltern Hilfe bei der Auswahl digitaler Spiele nach pädagogischen Kriterien. Dabei sollte aber stets Maß gehalten werden, denn letztlich nützt die schönste Lehrabsicht nichts, wenn ein Spiel keinen Spaß macht. Und nach wie vor sind digitale Spiele zunächst einmal zur Unterhaltung da.

Chancen für die digitale Spielekultur

Inzwischen befinden sich Videospiele auf einem guten Weg, Ihre Relevanz immer aufs Neue unter Beweis zu stellen und damit auch ihre Akzeptanz zu steigern. Wissenschaftler unterschiedlichster Disziplinen widmen sich der Erforschung verschiedener Facetten digitaler Spiele.

In der Politik werden digitale Spiele als Kulturgut, aber natürlich vor allem auch als Wirtschaftsfaktor und Innovationsmotor immer ernster genommen und erfahren zunehmend auch öffentliche Förderung. Am sichtbarsten finden Games politische Anerkennung beim Deutschen Computerspielpreis, bei dem in sieben Kategorien pädagogisch und kulturell wertvolle Games „made in Germany“ ausgezeichnet werden. Die Hälfte der Preisgelder von insgesamt 385.000 Euro stammt aus dem Etat des Kulturstaatsministers. Zugleich haben die Verbände der deutschen Computerspieleindustrie BIU und G.A.M.E. im vergangenen Jahr die Stiftung Digitale Spielekultur gegründet, zu deren Initiatoren ebenfalls der Kulturstaatsminister zählt. Zurück geht die Stiftungsgründung auf einen Beschluss des Deutschen Bundestages.

Die Stiftung hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Relevanz digitaler Spiele aufzuzeigen und ihre Akzeptanz in der Gesellschaft zu steigern. Dazu unterstützt, fördert und initiiert sie Projekte, die unterschiedliche Facetten der digitalen Spielekultur beleuchten. Sie versteht sich als begeisterte, aber auch kritische Förderin der digitalen Spielekultur.

Maßgeblich organisiert und betreut die Stiftung den bereits erwähnten Deutschen Computerspielpreis und engagiert sich im Bereich Wirtschaft und Ausbildung, bspw. durch die Durchführung eines Workshop-Parcours zur Berufsfeldorientierung auf Europas größter Jugendmesse YOU, wo Jugendliche in vier Berufe in der Gamesbranche hineinschnuppern konnten.

Auf dem gamescom congress diskutierte die Stiftung mit den Teilnehmern über den interessanten Bereich der sog. Newsgames, die Nachrichten und journalistische Berichterstattung mit spielerischen Mechanismen verknüpfen. Gemeinsam mit MedienpädagogInnen fördert, entwickelt und erprobt die Stiftung progressive medienpädagogische Formate, die Games zum Gegenstand haben und emanzipativ statt defizitorientiert ausgerichtet sind. An kongenialem Ort wie dem Computerspielemuseum zelebriert die Stiftung die digitale Spielekultur anlässlich der Deutschen Gamestage mit der breiten Öffentlichkeit, mit Familien, Besuchern und Touristen beim Gamefest. Auf dem 13. Internationalen Literaturfestival Berlin erprobte die Stiftung im September erstmals das selbst ersonnene Format der „Spielung“: Statt herkömmlicher Lesungen wurden der Literaturszene erzählerisch besonders spannende digitale Spiele vorgeführt. Abrundung fand dieser Thementag mit dem Literarischen Quartett der Zukunft, ebenfalls mit Games zum Gegenstand der Diskussion. Und last but not least fördert die Stiftung gemeinsam mit versierten Partnern die Gründung des weltweit größten Archivs für Computer- und Videospiele in der Hauptstadtregion.

Die Zukunft der digitalen Spielekultur

Die Relevanz digitaler Spiele in verschiedenen Bereichen werden wohl nur die eingefleischtesten Kritiker noch verneinen. Gerade in ihrem Ringen um Akzeptanz wird die kulturelle Relevanz digitaler Spiele deutlich. Denn wir leben inmitten eines spannenden Umbruchs, der „digitalen Renaissance“. Die Faszinationskraft des Mediums ist ungebrochen und weist mehr und mehr jungen Menschen den Weg in die Gamesbranche. Dort bietet sich ihnen die einmalige Gelegenheit, an dieser Entwicklung zu partizipieren, vom Rezipienten zum Kulturschaffenden zu werden, einen Beitrag zu leisten und eigene Akzente zu setzen. Junge Menschen nehmen damit ganz selbstverständlich die digitale Spielekultur in die eigene Hand und erwerben so Kompetenzen, die neben der Gamesbranche selbst auch in vielen anderen Bereichen Anwendung finden können. Der Grad an Professionalität, Qualität und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Computerspiele-Industrie kann sich inzwischen sehen lassen. Doch kommt es auch auf die Inhalte an und den Mut, neues zu wagen. Hier kann die heimische Computerspiele-Industrie noch stärker werden und der globalen Gameskultur ein eigenes Gepräge aufdrücken, damit Deutschland vom Spiele-Entwicklungsland zum Spieleentwicklungs-Land wird.

Der Artikel wurde erstmals in der Tagungsschrift der 2. Netzwerktagung „Medienkompetenz stärkt Brandenburg“ veröffentlicht.