Train to Sachsenhausen

Die Applikation Train to Sachsenhausen simuliert ein Kartenspiel, wobei Spieler*innen Karten ablegen und je nach Ablagerichtung im narrativen Setting des Spiels eine Entscheidung treffen. Dadurch gestalten sie die Handlung um einen jungen Studenten und seine (politischen) Entscheidung während der Besetzung Prags durch das NS-Regime im Jahr 1939.

Allgemeine Infos

  • Entwickler: Charles Games (Tschechische Republik)
  • Publisher: Charles Games
  • Erscheinungsjahr: 2022
  • Genre: Role-Playing (RPG), Serious Game, Simulator
  • Thema: Flucht und Migration, Holocaust, Politische Radikalisierung, Widerstand, Zweiter Weltkrieg
  • Zugänglichkeit: Deutsche Sprachversion, Englische Sprachversion, Lehrmaterial vorhanden
  • Vermittlungspotenzial Hoch
  • Zeitaufwand Gering
  • Komplexität Gering
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Erinnerungskulturelle Einordnung

Autor: Mathias Herrmann

Mathias Herrmann studierte an der Technischen Universität Dresden Lehramt an Oberschulen für die Fächer Deutsch/Geschichte und promovierte anschließend an der Technischen Universität Chemnitz im Rahmen eines Projekts zu musealen Beständen in sächsischen Museen. Zurzeit ist er als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Neuere und Neueste Geschichte und Didaktik der Geschichte der TU Dresden tätig und widmet sich unter anderem dem Thema der Implementierung analoger und digitaler Spiele in den Geschichtsunterricht

Die Spieler*innen schlüpfen in dieser Serious-Game-App in die Rolle eines tschechischen Studenten, der die Ereignisse rund um die Zerschlagung der Tschechoslowakei, die Besetzung Prags und die Installierung des Protektorats Böhmen und Mähren durch das nationalsozialistische Deutschland im Jahr 1939 erlebt. Dabei müssen immer wieder Entscheidungen getroffen werden, mit denen die Geschichte in unterschiedliche Richtungen entwickelt werden kann. So ist Konformität ebenso möglich wie Widerstand – mit entsprechenden, teils unvorhersehbaren Konsequenzen.

Nach dem Spieldurchgang gibt es die Möglichkeit im „Museum“ der App einen Blick in historische Dokumente zu werfen oder Bild- und Tonaufnahmen abzuspielen.

Erinnerungskulturelle Bedeutung

Das Spiel rückt die Problematik von Widerstand und/oder Konformität in den Mittelpunkt der Betrachtungen und zieht daraus – in Verbindung mit den dargestellten historischen Ereignissen – seine erinnerungskulturelle Relevanz. So startet man das Spiel in der Rolle des tschechischen Studenten Antonín Neděla, der – in einem Zug nach Prag sitzend – in der Zeitung die Tagespolitik verfolgt. Mit der Ankunft am Reiseziel beginnt eine Reihe von Ereignissen, bei denen sich die Spieler*innen für unterschiedliche Wege entscheiden können. So ist es möglich, aktiv in den Widerstand zu gehen und unter anderem an großen Protesten wie denen des 28. Oktober 1939 in Prag teilzunehmen, das Begräbnis und die Trauerfeier des von deutschen Sicherheitskräften erschossenen Jan Opletal zu besuchen und die Besetzung der Universitäten im Zuge der „Sonderaktion Prag“ mitzuerleben. Es besteht aber auch die Möglichkeit der Konformität, sich also an keinerlei Aktionen zu beteiligen und den ursprünglichen Studienplänen zu folgen. Beide Wege können zu unterschiedlichen Enden führen, die entweder Flucht bzw. Exil, Haft oder Deportation und Tod des Hauptcharakters zu Folge haben.

Gesteuert wird das Spiel dabei über einen „Swipe-Mechanismus“ – man wischt auf dem Bildschirm des Handys oder Tablets erscheinende Bilder mit entsprechend versehenen, kurzen Texten entweder nach links oder rechts und treibt so die Geschichte voran.

Um die Thematik während und nach dem Spieldurchgang mit weiterführenden Inhalten zu bereichern, implementierte das Entwickler*innenstudio Charles Games ein internes Museum, das es den Nutzer*innen ermöglicht, historische Informationen, Dokumente und Zeitzeug*inneninterviews abzurufen – das Spielende führt dabei automatisch in diesen, von Historiker*innen betreuten Bereich der App.

 

Diskussionspunkte

Da Train to Sachsenhausen als Serious Game konzipiert ist, liegt sein großer Wert in der Nachvollziehbarkeit historischer Prozesse für die Bildung. Deshalb finden sich allerdings – abgesehen von einer reduzierten Darstellung historischer Ereignisse und Zusammenhänge – keine inhaltlich kontroversen Debatten innerhalb des Produkts. Der wesentliche Diskussionspunkt ist hierbei noch die bereits angesprochene Problematik von Widerstand und Konformität. Die Spieler*innen begeben sich damit aber eher in innere Konflikte, die sie austragen müssen: Besuche ich diese oder jene öffentliche Kundgebung und laufe Gefahr entdeckt und verhaftet zu werden oder besuche ich doch lieber die universitären Veranstaltungen und gehen damit vorläufig auf „Nummer sicher“?

Die Darstellung des Widerstands gegen die Besetzung Prags, die Zerschlagung der Tschechoslowakei und den damit verbundenen Aufbau des Protektorats Böhmen und Mähren wird dabei als ein von breiten Massen getragenes Ereignis skizziert, über dem permanent der deutsche Sicherheits- und Repressionsapparat kreist. Auf diese Weise rückt das Spiel auch den Charakter der deutschen Besatzungspolitik sowie die Deportation und Ermordung Oppositioneller in den Konzentrationslagern in den Mittelpunkt. Hier ergibt sich vielleicht eine kleine Problematik im Rahmen der Spielmechanik, denn diese sieht nach einem Spielverlauf einen Einblick in unterschiedliche Museumsthemen vor, deren Auswahl in den Entscheidungen, die während des Spielverlaufs getroffen wurden, begründet liegt. Wenn also die Flucht gelungen ist, kann es passieren, dass das Themen Deportation und Konzentrationslager gar nicht vorgeschlagen werden. Zu umgehen ist dies aber mit der permanent vorhandenen Möglichkeit, auf die Museumsfunktion zuzugreifen oder einen neuen Spielversuch zu wagen – letzteres ist auch die eigentliche Intention des Entwickler*innenstudios, denn die Spielzeit ist mit knapp 10-15 Minuten sehr kurz bemessen und lädt eben dazu ein.

Train to Sachsenhausen wurde in der Berichterstattung, unter anderem auch auf Seiten der Bundeszentrale für politische Bildung, äußerst positiv besprochen und als eine wichtige Bereicherung für die digitale Erinnerungskultur bezeichnet.

Einsatzmöglichkeiten

Train to Sachsenhausen ist als Spiel hervorragend für eine Implementierung in den Unterricht geeignet. Dies liegt an mehreren miteinander verbundenen Aspekten: so ist das Spiel zunächst – in Hinblick auf thematische Inhalte wie die nationalsozialistische Außen- und Besatzungspolitik sowie den dagegen organsierten Widerstand – äußerst zugänglich und anknüpfbar konzipiert. Hierbei ergeben sich durch den personellen Fokus des Spiels auch gleichzeitig ein faszinierender Perspektivwechsel sowie die Möglichkeit, sich mit bislang im deutschen Diskurs weniger erinnerten Ereignissen auseinanderzusetzen.

Es wird deutlich, wie schwierig es gewesen sein musste, tatsächlich Widerstand zu leisten und wie schnell man als Oppositionelle*r oder Aktivist*in in die Fänge des deutschen Sicherheitsapparats geraten konnte. Da die Handy-App hierzu eine Menge Zusatzmaterial bietet, kann der historische Inhalt tiefgründig und multimedial bearbeitet werden. Es ist also problemlos möglich, kompetenzorientiert Zugänge zu finden.

Gleichzeitig ist die Kürze eines Spieldurchgangs sehr förderlich für einen Einsatz im Unterricht, sodass auch genügend Zeit bleibt, um die dargestellten Themen entsprechend bearbeiten zu können. Auch die äußeren Bedingungen sind recht optimal, steht das Spiel doch als kostenfreie App zur Verfügung und bietet auch im Rahmen der Bedienung kaum Hindernisse. Es sollte daher nicht nur in Schulen, sondern unbedingt auch in universitären Seminar- sowie Weiter- und Fortbildungsformaten zur Anwendung kommen.


Weiterführendes Material

  • Brandes, Detlef: Die Tschechen unter deutschem Protektorat. Teil I. Besatzungspolitik, Kollaboration und Widerstand im Protektorat Böhmen und Mähren bis Heydrichs Tod (1939–1942), Oldenburg/München/Wien 1969.
  • Walter, Tim: Train to Sachsenhausen, in: spielbar.de (30.05.2024), aufgerufen am 18.01.2024, URL: https://www.spielbar.de/spiele/150551/train-to-sachsenhausen.

Zitierempfehlung

Herrmann, Mathias. „Train to Sachsenhausen“. Datenbank Games und Erinnerungskultur. Stiftung Digitale Spielekultur, 14.03.2024 [URL], zuletzt aufgerufen am: [Datum]

Förderer

Dieser Beitrag wurde im Rahmen des Projekts "Let's Remember! Erinnerungskultur mit Games vor Ort" in der Bildungsagenda NS-Unrecht von der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ) und dem Bundesministerium der Finanzen (BMF) gefördert.