Spuren auf Papier

Das Serious Game Spuren auf Papier widmet sich den Themen Euthanasie und NS-Krankenmorde. Entwickelt als Kooperation der Gedenkstätte Wehnen e.V. mit dem Entwicklerstudio Playing History erzählt es die fiktive Geschichte der beiden Schwestern Anna und Josephine, die jedoch auf wahren Begebenheiten in der Heilanstalt Wehnen basiert. Das Spiel vermittelt die verbrecherische Gesundheitspolitik des nationalsozialistischen Regimes.

Allgemeine Infos

  • Entwickler: Playing History (Deutschland)
  • Publisher: Gedenkkreis Wehnen e.V., Playing History
  • Erscheinungsjahr: 2022
  • Genre: Point-and-click, Serious Game
  • Thema: Holocaust, Nationalsozialistische Herrschaft
  • Zugänglichkeit: Deutsche Sprachversion, Englische Sprachversion
  • Vermittlungspotenzial Hoch
  • Zeitaufwand Gering
  • Komplexität Gering
Erklärungen zur Bewertung

Trailer

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Erinnerungskulturelle Einordnung

Autor: Lucas Haasis

Dr. Lucas Haasis forscht und lehrt an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg am Institut für Geschichte.

Ist Krankenmord ein Thema, das sich für ein Spiel eignet? Lassen sich NS-Gräuel spielerisch aufarbeiten? Das Spiel Spuren auf Papier der Gedenkstätte Wehnen und Playing History beantwortet diese Fragen auf eindrückliche Weise und markiert einen Meilenstein des Genres Serious Games. Das Spiel erzählt die Geschichte von Anna Lorenz, die als manisch-depressive Patientin 1939 in die Heil- und Pflegeanstalt Wehnen eingewiesen wird und dort zu Tode kommt. Anna ist ein fiktiver Charakter. Ihre Figur vereint jedoch das Schicksal der 1500 Menschen, die in Wehnen tatsächlich durch Hungertod ermordet wurden. Das Spiel basiert auf realen Biografien und Dokumenten. Die roten Bücher der Gedenkstätte inspirierten das Gamedesign im Stil einer interaktiven Graphic Novel. In 10 Kapiteln blättern wir durch Annas Geschichte, erzählt aus Perspektive ihrer Schwester Josephine, die das Schicksal ihrer Schwester anhand derer Zeichnungen aufarbeitet. Sensibel, behutsam und berührend vermittelt das Spiel dieses düstere Kapitel deutscher Geschichte. Das Lernspiel kann kostenfrei auf der Homepage der Gedenkstätte gespielt werden.

Video-Kurzreview

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Erinnerungskulturelle Bedeutung

Schon kurz nach Release des Spiels am Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust am 27. Januar 2022 wurde das Spiel Spuren auf Papier zum Referenzspiel für Serious Games zum Thema NS-Gräueltaten und menschenverachtender NS-Gesundheitspolitik. Was lange Zeit als undenkbar galt – die Verbrechen der Nazis spielerisch zu thematisieren – wurde durch das Spiel auf angemessene Weise enttabuisiert. Das Spiel Spuren auf Papier war zum Zeitpunkt der Veröffentlichung das erste Spiel, das sich ernsthaft und pietätvoll der spielerischen Auseinandersetzung mit Themen wie Euthanasie, Krankenmord oder Zwangssterilisation widmete. Der gegenwärtige Trend zu Serious Games in der Gedenkstättenpädagogik wäre ohne Spiele wie Spuren auf Papier nicht möglich gewesen und ist dabei gleichzeitig so wichtig und aktueller denn je. Ein Erstarken rechter Parteien in einer Zeit, in der offen revisionistische, menschenverachtende und rassistische Ideologien wieder salonfähig zu werden drohen, ist mehr denn je Dringlichkeit zur Aufklärung geboten. Zeitgleich führt das fortschreitende Verschwinden der Zeitzeug*innen zu einer immer stärkeren Kluft zwischen Ereignis und Erinnerung, was dazu führt, dass Jugendliche nachweislich zum Thema Nationalsozialismus in Schule und Alltag immer weniger direkten Bezug herstellen können. Neue, kreative Formen der Vermittlung sind hier gefragt und unerlässlich, insbesondere diese die die Jugendlichen direkt adressieren – wie Spiele.

Diskussionspunkte

Die Diskussion um die Relevanz und Wirkung von Serious Games als Lernmedien in Bildungsinstitutionen ist eine relativ junge Diskussion aber bereits Dauerbrenner. Außer Frage steht, dass sich sowohl Schulen als auch Gedenkstätten dem Spiel öffnen sollten, da dieses an der Lebenswirklichkeit der Jugendlichen ansetzt. Die Frage lautet dann, welchen Mehrwert hat der Einsatz von Spielen? Spuren auf Papier zeigt, wie ein Spiel in der Gedenkstätte neue Lernimpulse setzen kann. Es besticht durch die interaktive Lernmöglichkeit, die aber gleichzeitig zusammentrifft mit der Machtlosigkeit, die wir als Spielende erfahren, die den Gang der Geschichte nicht mehr verändern können. Die Verbrechen der Nazis und die schreckliche Unentrinnbarkeit des Todes vermittelt sich so sehr direkt. Das Spiel zeigt damit auch, dass der Anreiz des spielerischen Lernens also nicht nur im Spielspaß zu suchen ist, sondern bezogen auf ernste Themen auch durch ein pietätvolles Mitgerissen werden erreicht werden kann. Für die gegenwärtige Diskussion der Geschichtsdidaktik, welche Rolle Emotionalität in Lernprozessen spielen kann, bietet gerade die visuelle Seite des Spiels Reflexionsanlass, in der über surreale Zeichnungen Krankheit und Gefühle greifbar werden. Das Spiel entfaltet eine besondere Atmosphäre, die sprachlos macht und innerlich bewegt. Die Verbindung von Originaldokumenten, authentischem Gedenkort und empathischer Spielerfahrung macht das Spiel zu einer besonderen Lernerfahrung.

Einsatzmöglichkeiten

Das Spiel ist für den Geschichtsunterricht konzipiert und geeignet. Empfohlen ist der Einsatz ab Klasse 9 zu den Themen Nationalsozialismus, Zweiter Weltkrieg, Holocaust im bundesweiten Lehrplan. Das Spiel hat eine einfache Spielmechanik. Als kostenloses Browsergame, das damit auch auf Tablett gespielt werden kann, sind die technischen Anforderungen gering. Gleichzeitig ziehen das Spiel, das visuelle Geschichtenerzählen sowie das Entschlüsseln der Rätsel in den Bann. Man bewegt sich in der Geschichte, wird Teil der Geschichte, wird bewegt durch die Geschichte. Empfohlen wird das Spiel zur Vor-/Nachbereitung des Gedenkstättenbesuchs. Mittels des Begleithefts lohnt aber auch schon der Einsatz ohne Exkursion. Wenn die Möglichkeit besteht, ist der Gedenkstättenbesuch dennoch angeraten. Durch die kurze Spieldauer von 30-60 Minuten ist das Spiel in einer Doppelstunde einsetzbar. Es sollte aktiv gespielt werden, in Partner- oder Gruppenarbeit, damit die Schüler*innen das Spiel eigenständig erfahren. Das Medium Spiel lebt von Interaktivität, die der Lernerfahrung eine neue Dimension hinzufügt. Im Spiel ist diese Erfahrung anspruchsvoll, weil Spuren auf Papier emotional immersiv ist. Begleitung und Nachbereitung sind erforderlich. Schüler*innen reagieren auf das Spiel zugewandt. Sie identifizieren sich mit den Figuren. Während häufig die Schulung der Medienkompetenz bei Serious Games im Vordergrund steht, bietet sich dieses Spiel an, tatsächlich spielerisch eine persönliche Perspektive auf die Themen NS-Gesundheitspolitik und Euthanasie zu gewinnen.


Weiterführendes Material

Weiterführende Videos

Weiterführende Literatur und Links:

Zitierempfehlung

Haasis, Lucas. „Spuren auf Papier“. Datenbank Games und Erinnerungskultur. Stiftung Digitale Spielekultur, 14.03.2024 [URL], zuletzt aufgerufen am: [Datum]

Förderer

Dieser Beitrag wurde im Rahmen des Projekts "Let's Remember! Erinnerungskultur mit Games vor Ort" in der Bildungsagenda NS-Unrecht von der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ) und dem Bundesministerium der Finanzen (BMF) gefördert.